Frauen in Literatur und Kunst
Die Trientinerin Luisa Anzoletti (1863–1925)

Luisa Anzoletti hat der Biblioteca Comunale di Trento ihren Nachlass vermacht, von G. Bruner, Trient. © Gemeinde Bologna; public domain

Luisa Anzoletti wurde 1863 in Trient geboren und wuchs zwischen Noten und Partituren auf: Ihr Vater war Musiklehrer, ihr Bruder Geiger, ihr Onkel Dirigent. Sie selbst widmete sich jedoch mit Leidenschaft der römischen und der italienischen Literatur und begann bald auch selbst zu schreiben. Dabei beschäftigte sie sich – als Intellektuelle und als überzeugte Katholikin – mit der Rolle der Frau und hielt zahlreiche Vorträge in verschiedenen italienischen Städten. Luisa Anzoletti pflegte Kontakte zu bekannten Persönlichkeiten ihrer Zeit und gewann für ihre Werke zahlreiche Preise. Vor 100 Jahren, am 19. September 1925, ist Luisa Anzoletti in Trient verstorben. Ihren Nachlass, bestehend aus literarischen und musikalischen Arbeiten sowie wertvollen historischen Unterlagen, vermachte sie – teilweise als Vorlass – der Biblioteca Comunale di Trento. Der Fondo Anzoletti bietet wertvolle Einblicke in das intellektuelle, kulturelle und soziale Leben des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Die Tageszeitung Il Nuovo Trentino würdigt die Poetin in einem umfassenden Nachruf am 20. September 1925:
„Luisa Anzoletti, überzeugte Christin alter Schule, eine hochgebildete und sanftmütige Frau, von breiter Bildung Kultur und seltener Herzensgüte, eine versierte Schöpferin klassisch geschliffener Verse, reich an Gedanken und Gefühlen, eine leidenschaftliche Patriotin in düsteren und schmerzvollen Zeiten, eine Mitbürgerin, die auch aus der Ferne stets mit treuer Beharrlichkeit ihre Heimatstadt liebte, ist nicht mehr: Sie entschlief ruhig und fromm, wie sie gelebt hatte, am gestrigen Nachmittag in ihrer Villa Rosa, zu der sie fast jedes Jahr […] zurückkehrte und die sie mehr als einmal in ihrer Dichtung besang. […]
Sie wurde im April 1863 in Trient in eine großbürgerliche Familie geboren: Ihr Vater Luigi, ein exzellenter Cellist, war Kunstliebhaber, ihre Mutter Rosa Lutterotti war eine Frau von hohen Sinnen und guter Bildung. Dantes ‚Vita nuova‘, die sie zufällig in einer Bücherkiste entdeckte, offenbarte ihr bereits als Zehnjährige ihre künstlerische Berufung. Latein lernte sie von dem damals noch lebenden ehrwürdigen don Emanuelle [!] Bazzanella. Die Klassiker und Dante blieben ihr künstlerischer Leitstern ein Leben lang. Mit zwanzig Jahren erhielt sie für einige lateinische Gedichte die Silbermedaille in einem Wettbewerb und eine schriftliche Belobigung von Papst Leo XIII., bekanntlich einem herausragenden Latinisten.
Von da an bewies sie zunehmend ihr künstlerisches Talent und ihre fundierte Gelehrsamkeit in Prosa und Versen, in literaturkritischen Schriften, in historischen und philosophischen Untersuchungen sowie in Vorträgen zu verschiedenen Anlässen. Viele ihrer Werke fanden Anerkennung unter Fachleuten, andere führten zu lebhaften Diskussionen; keine verschaffte ihr jedoch jenen breiten Ruhm, den sie verdient hätte. Vielleicht liefen ihre künstlerischen Ideale allzu sehr dem damaligen Zeitgeschmack zuwider. […]
Von ihrem Œuvre, das zwar nicht umfangreich ist, aber doch aus bemerkenswerten und zahlreichen Werken besteht, kann ich hier nur die wichtigsten nennen, die mir gerade in den Sinn kommen: Das preisgekrönte Werk ‚Gaetana Agnesi e il suo tempo‘, das manche als ihr Hauptwerk betrachten und das, obwohl schon vor etlichen Jahren veröffentlicht, noch so lebendig geblieben ist, dass eine Neuauflage in Betracht gezogen wird; […] ‚Femminismo e la missione della donna italiana’, in dem die außerhäusliche Arbeit, das Recht auf Teilhabe an Wissenschaft und bürgerlichem Leben sowie die Mission der italienischen Frau in Bezug auf den Feminismus seriös und ruhig diskutiert werden; schließlich drei Gedichtbändchen: ‚Vita‘ […], ‚Alba‘ […] und ‚Canti dell’Ora‘ […]. […]
Die Religion, die Ideale der Frau und das Vaterland blieben ihr Leben und Schaffen hindurch Quelle von Liebe und Inspiration.“
Maria Pichler
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