Die „staatsgefährdende“ Schlaraffia
Feldzug der Faschisten gegen deutschsprachige Vereine
Die Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor: Das haben sich die Schlaraffen – ein weltweiter, deutschsprachiger Männerbund – bei ihrer Gründung um 1860 in Prag auf ihre Fahnen geschrieben. Örtliche Gruppen, sogenannte Reyche, dieser weltweiten Verbindung gibt es seit 1894 in Bozen und seit 1899 in Meran. Mit der Machtübernahme des Faschismus gerieten die Südtiroler Reyche unter zunehmendem Druck, unter anderem weil sie grenzüberschreitende Beziehungen aufrecht hielten. Vor allem die faschistische Zeitung Il Brennero hetzte wiederholt gegen die Schlaraffia, wie die Volkszeitung am 8. Juli 1925 berichtet:
„Gegen die vollkommen unpolitischen, nur der Geselligkeit dienenden Ortsgruppen der über die ganze Welt verbreiteten ‚Schlaraffia' wendet sich der ‚Brennero‘ in mehreren großen Artikeln. Er führt aus, daß es in Italien einen gut situierten Zweigverein der Allschlaraffia gibt, ‚der zum Schaden Italiens arbeitet und vielleicht noch gefährlicher ist, als die Freimaurerlogen, weil er sein zerstörendes Werk nun unter den Bewohnern der Grenzzone ausführt. Nicht nur in Bozen und Meran gibt es ‚Burgen‘ der Allschlaraffia, sondern auch in Triest, Görz und Pola, und vielleicht sogar in Trient haben sie nicht abgerüstet, sondern bewahren die ganze Rüstung dieser Gesellschaft in voller Wirksamkeit.‘ In kommenden Artikeln will der Brennero mit Details (!) über die politische und nationale Tätigkeit der Schlaraffien in Bozen, Meran und Trient aufwarten. Dann ergeht sich das Blatt in längeren Ausführungen über die Tätigkeit der ‚Allschlaraffia' in verschiedenen Instituten und Vereinen des Etschlandes. Diese sind folgende: (Man höre und staune) Das Korps der Landschützen?, die Turnvereine, die Handelskammer in Bozen, der Fremdenverkehrsverein, der ‚Schulverein', die Feuerwehren, die ‚Etschwerke', die ‚Urania' (!) und – die wohlorganisierte Optantenfabrik. Jeder dieser Vereine habe als Obmann einen Schlaraffen, der natürlich ein Jude und von antiitalienischem Geist erfüllt ist. Besonders gefährlich scheint die ‚Urania' zu sein, die ihre antiitalienische Gesinnung hinter einem volkserzieherischen Mäntelchen versteckt. Und bei den ‚Etschwerken‘ gelte es als beste Empfehlung, wenn man sich mit einer Mitgliedskarte der ‚Schlaraffia‘ vorstellt, da alle Direktoren Schlaraffen seien. In dieser Tonart geht es weiter. Wir glauben, das Urteil über diese Ausführungen ruhig dem gesunden Hausverstand unserer Leser überlassen zu dürfen.“
In den darauffolgenden Monaten wurden die Südtiroler Reyche zur Selbstauflösung gezwungen bzw. behördlich aufgelöst und konnten nur mehr im Untergrund aktiv bleiben. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, die Schlaraffia in Südtirol wiederzubeleben.
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Generalsekretariat des EVTZ "Europaregion Tirol - Südtirol - Trentino"
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